Moderne Bildungsplanung für das Kindesalter erfordert eine ganzheitliche Perspektive, die pädagogische, psychologische, entwicklungsmedizinische, biologische und politische Aspekte integrieren muss.
Im Zentrum aller Planungen muss hierbei das Kindeswohl und eine langfristig umfassend gesunde Entwicklung (WHO-Definition) stehen. Eine in diesem Sinne nachhaltige Bildungsplanung wird auch volkswirtschaftlich effektiver sein als eine renditeorientierte Bildungspolitik, die auf eine kurzfristige Steigerung kognitiver Leistungsfähigkeit ausgelegt ist.
Frühkindliche Bildung für unter Dreijährige ist ein relativ junges Forschungs- und Politikfeld. Besonderes Interesse gilt dabei der Gruppentagesbetreuung. Neue Studien in diesem Segment führen zu drei wesentlichen Erkenntnissen:
- Nur bei hoher Struktur- und Prozessqualität sind leichte Verbesserungen späterer Lernleistungen zu erwarten. Die Betreuungsdauer hat hierauf keinen signifikanten Einfluss.
- Die kumulative Betreuungsdauer ist, unabhängig von Betreuungsqualität, linear mit einer leichten Zunahme expansiven Problemverhaltens verbunden.
- Ein Großteil gruppenbetreuter Kinder zeigt eine erhebliche chronische Stressreaktion (aktivierte HPA-Achse). Je jünger die Kinder sind, desto weniger kann dies durch hohe Betreuungsqualität verhindert werden.
Chronische Aktivierung der HPA-Achse signalisiert eine anhaltende Überforderungssituation und ist mit kurz- und langfristig negativen Folgen für somatische und psychische Gesundheit verbunden.
Aus der Zusammenschau der großen entwicklungspsychologischen Studien, pädiatrischer Studien und der neuesten Studien zu Psychobiologie/ Neuroendokrinologie und Epigenetik wurden daher nach dem Bielefelder Pädiatriekongress 2011 folgende evidenzbasierte Empfehlungen abgeleitet:
Bielefelder Empfehlungen
Gruppentagesbetreuung für unter Dreijährige muss hohe Qualitätsanforderungen erfüllen. Für Standards wird auf das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin verwiesen (www.dgspj.de).
Folgende Alters- und Mengenbegrenzungen werden empfohlen:
- Keine Gruppentagesbetreuung bei unter Zweijährigen.
- Zwischen dem zweiten und dritten Geburtstag maximal halbtägige Gruppentagesbetreuung (bis 20 Std./Woche).
- Ab drei Jahren bis zu ganztägige Gruppentagesbetreuung möglich, je nach individueller Disposition.
Elterliche Betreuung sollte insbesondere in den ersten drei Lebensjahren gezielt unterstützt und gefördert werden.